Während meiner Fahrt durch Polen im September 2007, fühlte ich mich oft an ein Buch von Daphne du Maurier, The House On The Strand (UK, 1969), erinnert. In dieser fiktiven Geschichte ermöglicht es eine Droge, dass die Charaktere in das 14. Jahrhundert "transportiert" werden, wo sie dann umher laufen und die Menschen dieser Zeit beobachten können.
Jedoch gibt es nur einen zeitlichen Transport, keinen räumlichen. So bewegen sich die gedopten Charaktere, während sie ihren mittelalterlichen Helden folgen, im modernen England, wo ihr Leben durch Straße, Autos und Züge gefährdet wird ...
Nein, ich hatte keine Drogen genommen, als ich 2007 durch Polen fuhr!
Aber ich hatte ein faszinierendes technisches Spielzeug dabei, das es mir annähernd erlaubte, mit einem Fuß in der Vergangenheit zu wandeln.
Die Möglichkeit, diese Erfahrung zu teilen, rechtfertigt sicher diesen etwas technischen Artikel.
Erste Schritte
Die Verwendung eines GPS (Global Positioning System) bot sich bereits an, als wir begannen, Karten unterschiedlicher Maßstäbe oder Karten unterschiedlichen Alters miteinander zu vergleichen. Es war nicht einfach zu sehen, ob ein Friedhof, der auf einer Karte im Maßstab 1:100 000 abgebildet ist, identisch ist mit einem auf einer Karte im Maßstab 1:25 000. Eine genaue geographische Zuordnung war notwendig, um dies zu entscheiden.
Wir mussten also die geographischen Koordinaten der Friedhöfe bestimmen. Die Errechnung der Koordinaten aus der Position in einer Karte ist eine Sache. Die Standortbestimmung eines Friedhofs während man darauf steht ist eine andere Sache und diese wäre leichter, präziser und würde mehr Spaß machen!
Der erste und eher einfache Gebrauch, den wir von GPS machten, war also einen GPS Empfänger bei der Arbeit vor Ort dabei zu haben. Wir speicherten und notierten dabei die Geo-Koordinaten zur weiteren Verwendung.
Diese Arbeitsweise war ausreichend und funktionierte gut für die Phase II des Projektes. In dieser Phase benutzten wir aktuelle Karten und suchten meist nur nach den Friedhöfen, die darauf eingezeichnet waren. Das GPS war also lediglich ein weiteres Dokumentationswerkzeug.
Der nächste Schritt
Phase III des Projektes begann in 2007. Jetzt wurde unsere Suche auf Friedhöfe ausgedehnt, die auf alten, aber nicht unbedingt auf den neuen Karten eingezeichnet sind.
Da gab es diese hervorragenden und sehr detaillierten polnischen Militärkarten des WIG (Wojskowego Instytutu Geografycznego) aus der Zeit nach dem Ersten Weltkrieg, die in elektronischer Form durch das MapyWig Projekt verfügbar sind. Wir hatten viele dieser Karten nach Friedhöfen abgesucht. Die exzellente Qualität der Karten und der Scans ergab eine lange Liste neuer Untersuchungsobjekte. Es entstand aber auch die Idee, die Genauigkeit der Karten zum leichteren Auffinden der Objekte vor Ort zu nutzen.
Durch eine entsprechende Software konnten die Karten kalibriert werden. Dadurch sollte es möglich sein, eine Geoposition des Objektes aus der Karte abzulesen.
Die Kalibrierung erfolgt dabei als ein elektronisches Ausrichten der Karte durch zwei oder mehr Referenzpunkte mit bekannten Koordinaten. Als Referenzpunkte bieten sich die Eckpunkte der Karten an, da deren Koordinaten angegeben sind.
Kalibrierung der WIG Karten - Foto: Jutta Dennerlein, 2007
Von der kalibrierten Karte kann die Koordinate eines eingezeichneten Friedhofs direkt durch die Positionierung des Cursors abgelesen werden.
Die so ermittelten Koordinaten sollten uns vor Ort zu den Friedhöfen führen.
Wie genau würde die Methode sein?
Die Original Karten waren bereits 80 Jahre alt und teilweise oft verwendet worden, bevor sie eingescannt wurden.
Einige Scanner erzeugen Verzerrungen, die zu einem falschen Ergebnis führen würden. Die meisten Projektionsmethoden erzeugen Karten, die in ihren Randbereichen zunehmend an Längentreue verlieren.
Wir prüften die Qualität unserer Kalibrierung, indem wir die bekannten Koordinaten der Friedhöfe aus Phase II mit deren Kartenposition verglichen.
Das Ergebnis war ernüchternd. Die Abweichung betrug in einigen Fällen mehr als 150 Meter. Mit diesen Daten hätten wir keine Chance, einen versteckten Friedhof zu finden.
Wir waren aber immer noch von der Qualität der polnischen WIG Karten überzeugt. Deshalb nahmen wir an, dass die Ungenauigkeit dadurch entstand, dass wir die Eckpunkte der Karte zur Kalibrierung verwendet hatten.
Also kalibrierten wir die Karten neu. Dieses mal verwendeten wir einen Teil der Friedhöfe aus Phase II zur Kalibrierung und die restlichen Friedhöfe zur Prüfung der Qualität unserer Kalibrierung. Das Ergebnis ließ sich sehen lassen. Die Ungenauigkeit war jetzt weniger als 10 Meter!
Wir hatten Glück, dass wir bereits die exakten Positionen für die von uns besuchten Friedhöfe notiert hatten. Vorteilhaft war auch, dass die verwendete Software dazu in der Lage war, zur Kalibrierung mehr als zwei Punkte zu benutzen. Die bekannten Friedhöfe lagen in sehr unterschiedlichen Gegenden und sorgten so für gute Ergebnisse in diesen Gebieten.
Doch wir wollten mehr!
Die sehr detaillierten Karten erzeugten das Bedürfnis danach, sie auch vor Ort dabei zu haben.
Es würde sehr viel einfacher sein, einen Friedhof zu finden, indem man gleich dem richtigen Feldweg folgt, als der Anweisung "Entfernung 500, Kurs NNW" zu folgen.
Es wäre auch günstig, wenn wir die Karten von Gebieten, die wir noch nicht besucht hatten, unterwegs kalibrieren könnten.
Dazu wurde allerdings etwas mehr Ausrüstung benötigt: ein kleines, portables, hochauflösendes Display und eine Software, die die kalibrierten Karten anzeigen und die Kommunikation mit dem GPS handhaben würde.
Ein 'normales' Auto Navigationssystem kam dafür nicht in Frage - auch dann nicht , wenn man es aus dem Auto mitnehmen kann, den diese Systeme können meist nur Vektorkarten anzeigen.
Allerdings war die Aussicht, mit einem mobilen Computer (zusammen mit einem GPS Empfänger, einer Kamera, Ersatzakkus, zusätzlichen Speicherkarten, Papier, Stift, Gartenschere, Wurzelbürste und Taschenlampe) durch die polnischen Fliederbüsche zu kriechen, nicht sehr attraktiv.
Die Entscheidung fiel zugunsten eines PDA (Personal Digital Assistant) mit einer drahtlosen Bluetooth GPS Anbindung.
PDA mit drahtloser Verbindung zu dem GPS.
Foto: Jutta Dennerlein, 2007
Es funktionierte phantastisch! Wir hatten lediglich auf etwas mehr Unterstützung beim Auffinden sehr hartnäckig versteckter Friedhöfe gehofft.
Was wir bekamen war das ultimative Abenteuerspielzeug, ein verlässlicher Reiseleiter und ein präzises Messinstrument!
Ob im Auto oder zu Fuß, die angegebene aktuelle Position stimmte mit überraschender Genauigkeit mit der angezeigten Karte überein. Der Halt an jeder alten Kirche, um einen neuen Kalibrierungspunkt zu erfassen, wurde zur zweiten Natur. Die Qualität der Kalibrierung konnte so ohne viel Aufwand konstant verbessert werden.
Sogar während der Fahrt mit dem Auto blieb die Positionsmarke immer exakt auf der eingezeichneten Straße (falls die Straße nicht bei einem Neubau verlegt worden war). Wir kamen so nahe wie möglich an die Friedhöfe heran, indem wir direkt den eingezeichneten Feldwegen und den alten Zugangswegen folgten. Zu unserer Überraschung haben sich die Feldwege seit 1930 nicht viel verändert. Nur viele Zufahrten zu den kaum noch besuchten Friedhöfen sind zu Teilen der Felder geworden.
Die Anzeige der alten Karten während der Fahrt war ursprünglich nicht geplant gewesen. Aber es wurde sehr schnell zur Gewohnheit, immer ein Auge auf der Welt von 1930 zu haben, während man durch das moderne Polen fuhr.
Wie einfach war es, zu sehen, ob ein Haus bereits 1930 stand. Wie einfach war es, die Plätze zu finden, an denen die alten evangelischen Kirchen von Iłów oder Gąbin gestanden haben. Wie einfach war es, Veränderungen des Weichseldamms in den letzten 80 Jahren festzustellen.
Schwierig war nur, nicht zu einem Verkehrsrisiko zu werden, während mit wachsender Begeisterung die Welt der Vergangenheit erforscht wurde.
Weiterverarbeitung der Ergebnisse
Neben der Speicherung der genauen Positionen der Friedhöfe in unserer Datenbank, war es jetzt möglich, eine Vektorkarte unserer bisherigen und der neuen Untersuchungsobjekte zu erstellen.
Diese Karte wird auch helfen, den Status der Friedhöfe zu verfolgen, sie wird helfen, Dubletten zu vermeiden und sie wird helfen, weitere Touren zu planen.
Vektorkarte mit unseren Untersuchungsobjekten
Als Software für die Erzeugung der Vektorkarte verwendeten wir GPS TrackMaker®.
Einige Skrupel
Eine generelle Frage taucht im Zusammenhang mit diesem Projekt immer wieder auf und sie soll hier diskutiert werden.
Das Cmentarze Projekt lenkt die Aufmerksamkeit sehr unterschiedlicher Gruppen auf die alten Friedhöfe. Dies ist eines der Ziele des Projektes. Aber ist es wirklich sehr geschickt, detaillierte Anfahrtsbeschreibungen und exakte Geopositionen der Friedhöfe zu veröffentlichen?
Die Friedhöfe haben bereits Vandalismus, Störung der Totenruhe und unterschiedliche Formen der Grabräuberei erfahren. Nicht jeder, der einen Friedhof besucht, verlässt ihn so, wie er ihn angetroffen hat. Das gilt leider auch für Familienforscher. Begünstigen wir mit unseren Veröffentlichungen nicht auch diese unerwünschten Aktivitäten?
Auf diese Frage wurde bisher keine einfache und eindeutige Antwort gefunden.
Wir haben uns aber immer dafür entschieden, das Projekt so fortzusetzen wie wir es begonnen haben. Denn das Interesse, das wir mit dem Projekt und den veröffentlichten Informationen erzeugen, schützt die Friedhöfe.
Die Beachtung, die Aufmerksamkeit und das Interesse der Leute, die in der Nähe der Friedhöfe leben oder der Leute, die an der polnischen Geschichte interessiert sind, sind zur Zeit der wirksamste und leider der einzige Schutz der Friedhöfe.