Jutta Dennerlein lebt in der Nähe von München. Ihre Vorfahren scheinen immer in der Nähe der Weichsel gelebt zu haben, so auch in der Gegend von Płock.
Genealogischer Forschungseifer treibt sie manchmal zu kurzentschlossenen Handlungen …
Im Jahr 2003 bin ich dann doch noch mal nach Polen gefahren. Einige "neue" Orte, die sich in den letzten Jahren aus der Familienforschung ergeben hatten, mussten besucht werden, neue Informationen, an die sich die Tanten nun doch noch erinnerten, mussten überprüft werden und schließlich: der letzte Besuch war ja schon zwei Jahre her!
Entscheidend für den sehr spontanen Entschluss, alleine nach Polen zu fahren, war aber die Ankündigung einer in Lublin lebenden Internetbekannten, die schrieb, sie würde noch im Juli das Archiv in Płock besuchen, bevor es wie jedes Jahr im August schließt. Warum also noch länger überlegen? Es war schließlich schon Mitte Juli!
Das schöne Hotel am Płocker Weichselhochufer war leider ausgebucht. Aber das Petropol bestätigte gleich per e-Mail die Buchung. So setzte ich mich eine Woche später ins Auto und fuhr los. Ich hatte für die Anreise zwei Tage geplant, 1100 km München Płock sind ja schließlich keine Kleinigkeit. Die Hotels an der Fernfahrerroute Frankfurt/Oder-Posen machten aber keinen Vertrauen erweckenden Eindruck und warben mit Zusatzdienstleistungen für die ich absolut keinen Bedarf hatte. Ich fuhr also einfach immer weiter und der Aufenthalt im klimatisierten Auto war angenehmer als die 30°C Julihitze in einem lauten Hotel an einer Fernstrasse. Dennoch war ich sehr erleichtert, als nach Gostynin die Landstraße endlich auf die Weichsel zulief und mich schließlich nur noch die Brücke bei Płock von meinem Ziel trennte.
Na ja, dass die Brücke gesperrt war und ich mit all den anderen Sonntagsausflüglern noch zwei Stunden im Stau vor der Brücke stehen musste, konnte ich ja nicht wissen. Aber schließlich war auch dieses Hindernis überwunden und ich freute mich auf eine Dusche und über einen zusätzlich gewonnenen Tag in Płock.
Weichselbrücke bei Płock - Foto: Jutta Dennerlein, 2003
Ich möchte an dieser Stelle gar nicht auf die Eindrücke eingehen, die ich auch dieses mal bei den Ausflügen in der Umgebung von Płock und in der Stadt selbst sammeln konnte, auch nicht darauf, wie sehr dieses mal die Fixierung auf die Suche nach Friedhöfe so sehr in Fleisch und Blut überging, bis ich schließlich an jeder langgestreckten Mauer automatisch den Fuß vom Gas nahm. Das muss auf einen anderen Bericht warten. Erwähnen möchte ich aber dennoch ein kleines Ereignis, das mich durchaus beeindruckt hat.
An einer Tankstelle hatte ich das Auto so geschickt geparkt, dass beim Rückwärtsfahren der Frontspoiler an einer Metallschiene (die dort nichts zu suchen hatte) hängen blieb und zur Hälfte abgerissen wurde. So stand ich also irgendwo zwischen Płock und Warschau auf einem Parkplatz an einer Landstraße und konnte mit dem auf die Straße hängenden Spoiler nicht weiter fahren. Während ich noch überlegte, wie ich ohne polnische Sprachkenntnisse einen Reparaturdienst besorgen könnte, kam ein Pole, der mein Missgeschick beobachtet hatte, mit seiner Werkzeugkiste unter dem Arm auf mich zu, sagte irgendetwas auf Polnisch und fing einfach an, mein Auto zu reparieren. Ich war verblüfft!
Es war immer noch der Juli des Jahrhundertsommers, es gab keinen Schatten auf dem Parkplatz und die Plastikteile der deutschen Markenkarosse gebärdeten sich äußerst widerspenstig. Nach einer Stunde schweißtreibender Arbeit und mit Hilfe einiger "Ersatzteile" aus dem Abfall hinter der Tankstelle gelang es meinem freundlichen Helfer schließlich aber doch, alle Teile wieder so zu befestigen, dass sie hielten und man nichts von einer Reparatur sah. Der Spoiler hält heute noch. Gerne hätte ich mich bei meinem Helfer so bedankt, dass er auch verstanden hätte, was ich sagte aber es musste irgendwie auch so gehen.
Ein Höhepunkt dieses Polenbesuchs sollte aber das Archiv in Płock sein dafür waren die beiden letzten Tage reserviert und darüber möchte ich hier berichten.
Meine polnische Bekannte wollte am Donnerstag kommen. Donnerstag ist der Tag, an dem das Archiv länger geöffnet hat. Am Mittwoch erhielt ich von ihr eine Mail, in der sie mitteilte, dass sie an dem vereinbarten Tag noch nicht in Płock sein könne, sie würde erst am Freitag kommen. Also niemand mit polnischen Sprachkenntnissen, der mir bei den Anmeldeformalitäten helfen konnte. Egal - ich entschloss mich dennoch zum Archiv zu gehen mal sehen wie weit ich mit Englisch oder Deutsch kommen würde.
Das Archiv ist in dem Gebäude des alten östlichen Getreidespeichers direkt am Hochufer der Weichsel untergebracht.
Staatsarchiv in Płock - Foto: Jutta Dennerlein, 2003
Die Adresse ist:
Archiwum Państwowe w Płocku,
ul. Kazimierza Wielkiego 9b,
09-400 Płock,
Poland.
Der Straßenname wurde in den letzten Jahren geändert früher ul. Wieczorka 13 - und ist deshalb mit einem älteren Plan von Płock schwer zu finden.
Das Archiv unterhält eine eigene Internetseite, die auch eine englische Version hat. Diese hatte ich zur Vorbereitung genutzt. Eine Liste der im Płocker Archiv vorhandenen Bestände konnte ich in der Pradziad Datenbank auswerten.
Eine Voranmeldung im Archiv ist zwar nicht erforderlich, empfiehlt sich aber bei langer Anreise und mangelnden Polnischkenntnissen, da nur wenige Mitarbeiter Englisch sprechen und das Archiv nicht immer geöffnet hat.
Eingang zum Staatsarchiv - Foto: Jutta Dennerlein, 2003
Ich hatte Glück, da trotz versäumter Voranmeldung eine Mitarbeiterin mit Englischkenntnissen geholt werden konnte. Alle Mitarbeiter mit denen ich zu tun hatte waren kompetent und sehr Hilfsbereit.
Das Archiv verfügt über einen kleinen Lesesaal. Man muss zunächst ein Formular mit den in Archiven üblichen Anmeldeformalitäten ausfüllen. Das Formular ist nur in polnischer Sprache vorhanden. Auch hierbei hatte ich Glück: im Lesesaal war ein polnischer Familienforscher anwesend, der sehr gut Deutsch sprach und mir beim Ausfüllen des Formulars half.
Dann stand einem Zugang zu den Materialien des Archivs nichts mehr im Wege.
Ich konzentrierte mich auf Kirchenbücher. Einige der "jüngeren" Jahrgänge wurden von der LDS nicht verfilmt. Ihnen sollte zunächst mein Interesse gelten. Der von mir angegebene eine Jahrgang erschien der Archivarin wohl etwas wenig. Sie fragte mich, ob ich zu diesem Jahrgang eher auch noch die nachfolgenden oder eher die älteren Bände brauchen würde. Ich sagte, dass ich eher ältere Bände brauchen würde. Sie verschwand für einige Zeit und kam schließlich mit einem Wagen zurück, auf dem alle (!) vorhandenen Płocker Kirchenbücher von 1845 bis 1895 lagen.
50 Kirchenbücher! Alle im Original. Alle gleichzeitig verfügbar. Und alle für mich!
Man muss schon Familienforscher sein, um nachvollziehen zu können, was das bedeutet!
Die Kirchenbücher von Płock und Gabin, die ich bei diesem Besuch gesehen habe, waren in einem recht guten Zustand. Es wurde auch nicht der Fehler begangen, die Bücher neu zu binden.
Jedes Kirchenbuch enthält eine Karte, auf der jede Benutzung mit Namen eingetragen werden muss.
Kopien werden von der Aufsichtsperson des Lesesaales auf Anfrage gemacht.
So schön die Arbeit mit den Originalkirchenbüchern auch ist und so beeindruckend die manchmal vorhandenen Originalunterschriften der eigenen Vorfahren auch sind es gibt auch einen Wehmutstropfen: trotz sorgsamster Behandlung werden die Kirchenbücher durch die Benutzung nicht besser. Jedes der alten Bücher hinterließ auf dem Tisch des Lesesaales kleine Partikel von Leder oder Papier meist nur Teile des Einbandes aber dennoch ...
Ich habe für mir als Ergebnis dieses Archivbesuchs für meine weitere Recherchearbeit jedenfalls eine freiwillige Selbstbeschränkung auferlegt: Ich werde kein Kirchenbuch mehr im Original anfassen, wenn es davon irgendwo auch eine Verfilmung gibt.
So konnte ich nach zwei Tagen intensiver Kirchenbuchrecherche im Archiv in Płock und einer Menge neuer positiver Eindrücke wieder die Heimfahrt gen Westen antreten sicherlich nicht zum letzten mal.