Viele der Friedhöfe sind älter als 200 Jahre. Ihr Erscheinungsbild hat sich im Laufe dieser langen Zeit geändert und war durchaus auch Modeerscheinungen unterworfen. Was wir heute auf den Friedhöfen sehen können sind die Überreste des Zustandes, in dem sich die Friedhöfe 1945 befanden. Das bedeutet, wir können Reste von Grabmälern sehen, die meist in der Zeit zwischen 1880 und 1945 entstanden sind.
Die unterschiedlichen Materialien der Grabmäler - Zement, Sandstein, Granit, Eisen oder Holz - widerstanden der Zeit und der wechselhaften Geschichte sehr unterschiedlich.
Oft kann man sich heute zu den vorgefundenen Bruchstücken nur schwer die ursprüngliche Form des Objektes vorstellen.
Wie sah das Monument aus?
Die Beobachtungen auf zahlreichen alten Friedhöfen der Kolonisten in Mittelpolen und etwas Literaturstudium führten zu diesem kleinen Stilführer der Friedhöfe und Grabmäler. Er soll einen Eindruck des ursprünglichen Erscheinungsbildes der Friedhöfe vermitteln und bei der Interpretation der Bilder oder bei der Recherche vor Ort helfen.
Die Ausstattung der Friedhöfe
Es soll zwischen städtischen und ländlichen Friedhöfen unterschieden werden. Die städtischen Friedhöfe waren sehr viel stärker den unterschiedlichsten Einflüssen und Modeerscheinung ausgesetzt als die ländlichen Friedhöfe. Generell sind auf städtischen Friedhöfen wie in Płock, Gostynin oder Gąbin häufiger aufwendige Skulpturen oder Reste der beliebten neogotischen Gusseisenaufbauten zu finden.
Auf den ländlichen Friedhöfen hätten diese Objekte eher unpassend gewirkt, auch wenn sich einige wohlhabende Bauern diese Grabkennzeichnungen durchaus hätten leisten können.
Da die städtischen Friedhöfe besser erhalten und dokumentiert sind, sollen hier die ländlichen Friedhöfe betrachtet werden.
Die Friedhöfe hatten zumeist eine rechteckige Grundfläche. Es gab immer eine Einfriedung in Form eines Zaunes oder einer Mauer.
Es gab einen Haupteingang und evtl. weitere Eingangspforten an anderen Seiten. Der Haupteingang bestand meist aus einem breiten Tor mit Eingangstüren auf jeder Seite.
Friedhofstor in Ładne
Heute befinden sich diese Eingangsportale manchmal an unerwarteter Stelle, da die Straßen und Zugangswege früher anders verliefen (mit den Häusern sind oft auch vielbenutzte Wege verschwunden).
In der Mitte der Friedhöfe befand sich ein ca. 4-5 m hohes Holzkreuz als Friedhofskreuz.
Falls es eine Einteilung des Friedhofs in unterschiedliche Bereiche gab, so unterschied man Bereiche für Kindergräber, Einzelgräber und Familiengräber.
Familiengräber waren größer als Einzelgräber und zeigten aufwendiger gestaltete und dauerhaftere Grabmäler.
Form follows Fashion - Formen der Grabmäler
Bis Ende des 19. Jahrhunderts war die Verwendung von geschnitzten Holzkreuzen und bemalten Holztafeln als Grabkennzeichnung stark verbreitet. Seit Anfang des 20. Jahrhunderts wurden die hölzernen Grabbretter und Kreuze zunehmend durch Steinmonumente verdrängt. Die älteren Holzmonumente sind selten erhalten geblieben.
Die Standardform der Grabmäler des ausgehenden 19. Jahrhunderts waren Kreuze. Dementsprechend sind die meisten der heute auffindbaren Bruchstücke nicht Grabsteine, sondern Teile von Kreuzen - meist Teile des Sockels.
Zementkreuz
Zementkreuz mit Stabverzierung
Steinkreuze - Die Kreuze waren meist aus Zement gegossen. Teile des Sockels waren manchmal auch gemauert. Die Namensinschrift befand sich auf der Vorderseite des Sockels. Die Rückseite des Sockels wurde gerne mit einem Bibelspruch versehen.
Granitkreuz in Baumform mit Säulen der Einfriedung
Beliebt für größere Grabstellen waren Einfriedungen der Grabstellen mit niedrigen, durch Ketten verbundenen, Säulen. Die Säulen waren aus dem gleichen Material gefertigt wie die Kreuze und im gleichen Stil gehalten.
Sandstein wurde in der Weichselgegend selten verwendet.
Granitkreuze - Die Monumente aus Granit sind die am besten erhaltenen Monumente auf den alten Friedhöfen. Sie wurden ebenfalls in Kreuzform gestaltet, wobei zu dieser Zeit auch gerne die Form eines Baumes mit abgesägten Ästen verwendet wurde. Das Zeichen des abgestorbenen Baumes galt als ein Symbol der Vergänglichkeit.
Eisenkreuze - Metallkreuze waren meist aus Gusseisen. Seltener findet man Schmiedeeisen. Die Grabstellen wurden manchmal mit einem zu dem Kreuz passenden Eisengitter umgeben. Die Eisenkreuze waren meist freistehend und direkt im Boden verankert.
Schmiedeeisernes Kreuz
Gusseisernes Kreuz
Auffallend sind Metallkreuze mit Inschriftenplatten in Form eines Herzens. Nur auf den ersten Blick erscheinen diese Kreuze seltsam kitschig - unser heutiges Empfinden ist durch den massiven kommerziellen Gebrauch des Herzsymbols (Valentinstag, Muttertag) geprägt.
Bei näherem Hinsehen erkennt man jedoch, dass die Kreuze die uralten christlichen Grundtugenden - Glaube, Liebe, Hoffnung - symbolisieren sollen.
Das Kreuz steht für den Glauben, das Herz steht für die Nächstenliebe oder Gottesliebe und die an Anker erinnernden Enden der Kreuzbalken symbolisieren die Hoffnung.
Grabdenkmäler aus Holz - kamen bis zum Ende des 19. Jahrhunderts sicher häufig zum Einsatz. Holz war das ideale Material in einer ländlichen Umgebung und zu einer Zeit als die meisten Gegenstände des täglichen Gebrauchs aus Holz waren.
Neben hölzernen Kreuzen waren auch Grabbretter zu finden. Die Grabbretter standen zumeist auf Pfählen oder bildeten eine Einheit mit der hölzernen Grabumzäunung.
Die Bretter boten viel Platz für die in früheren Zeiten beliebten ausführlichen Grabinschriften. Sie waren verziert mit gedrehten oder geschnitzten Elementen und farbig bemalt.
Die Vorlagen für die drei hier abgebildeten Grabbretter stammen aus einem Skizzenbuch Albert Breyers. Eine der Skizzen enthält auch Anmerkungen zur Farbgebung (gelb, grün).
Grabbrett auf dem Friedhof von Łazińsk ca. 1932 - Reproduktion nach einer Skizze von Albert Breyer
Die Grabbretter waren also in lebhaften Farben bemalt, was den Friedhöfen sicherlich einen malerischen und gar nicht düsteren Eindruck gab.
Grabbrett auf dem Friedhof von Łazińsk ca. 1932 - Reproduktion nach einer Skizze von Albert Breyer
Grabbrett auf dem Friedhof von Łazińsk ca. 1932 - Reproduktion nach einer Skizze von Albert Breyer
Grabplatten - Häufig finden sich Gräber, die mit relativ schlichten Betonplatten abgedeckt sind.
Manche dieser Betonplatten sind völlig schmucklos und ohne Inschriften. Zu diesen Gräbern gab es wahrscheinlich hölzerne Inschriftenplatten oder Kreuze, die nicht erhalten blieben.
Andere Grabplatten zeigen im Flachrelief ein Feld für die Inschrift, darüber meist ein einfaches Kreuz.
Eine schlichte Verzierung bilden einzelne Blüten in den Ecken der Steinplatte.
Steinplatte
Grabeinfassung - Grabeinfassungen bestanden aus Zement mit gekehlten Verzierungen, die an Bilderrahmen erinnern.
Manche Grabeinfassungen wurden am Kopfteil durch einen niedrigen, pultförmigen Sockel ergänzt, auf dem eine Steinplatte mit der Inschrift angebracht wurde.
Grabeinfassung mit pultförmigem Sockel
Zeigt der pultförmige Sockel keine Inschrift, so war er wahrscheinlich ursprünglich mit einer Holzplatte für die Inschrift bedeckt.
Viele Gräber zeigen eine Grabeinfassung, aber weder Sockel noch Inschriftenplatte. In diesen Fällen kann das Grab durch ein aufrecht stehendes Grabbrett gekennzeichnet worden sein. Grabbretter waren an einem Pfahl über dem Kopfende des Grabes befestigt, waren oft reich geschnitzt und zeigten geschnitzte oder gemalte Inschriften.
Sarkophag - Manchmal erscheint die Grabeinfassung stark erhöht und wurde vollständig durch eine Steinplatte abgedeckt. Die Form erinnert dann an einen Sarkophag und wurde gerne für kleine Grabstellen (Kindergräber) benutzt. Da die Beisetzung aber dennoch in der Erde, also unter dem Sarkophag erfolgte, handelt es sich nicht wirklich um Steinsärge. Die Form wurde vielleicht deshalb für Kindergräber gerne verwendet, da sie optisch an den Schutz einer Wiege erinnert.
Grabsteine - Grabsteine, wie sie bei uns heute so selbstverständlich sind, wurden zu dieser Zeit auffallend selten benutzt. Kreuze dominierten die Friedhöfe.
Die noch erhaltenen Grabsteine zeigen meist eine sehr schlichte Form und sind auch in der Gestaltung der Inschriften eher unauffällig. Nur ganz selten findet man einen Grabstein in der sog. Friesischen Form, ein Grabstein, der durch ein kopfähnliches Oberteil an die sehr alte Form der Totenbretter und damit an die Form eines Menschen erinnert.
Grabstein
Grabstein in Friesischer Form
Stelen - Nur in ganz seltenen Fällen wurden Stelen benutzt (Sady). Auch die Stele erinnert, ähnlich wie das Totenbrett, in ihrer Form an einen Menschen - im Fall der Stele sogar an einen aufrecht stehenden Menschen. Vielleicht erschien dieses Symbol den tief gläubigen Kolonisten des ausgehenden 19. Jahrhunderts als zu wenig christlich (kein Kreuz) und zu wenig demütig (aufrecht stehender Mensch).
Verzierungen der Grabmonumente
Beliebteste Elemente der heute noch erkennbaren Verzierungen waren florale Motive, meist einfache Blüten. Seltener wurden Ranken oder Palmzweige benutzt. Ein Kreuz durfte natürlich nicht fehlen.
Grabstein mit floralen Ornamenten aus Czarne Błoto
Als sehr schick galt es zu Anfang des 20. Jahrhunderts, den Zement der Grabmonumente mit Aluminiumbronze (Aluminiumpulver Suspension - eine silbern glänzende Farbe) zu streichen. Von dieser Farbe ist heute nichts mehr zu sehen. Bei einigen Zementfragmenten, die heute noch durch eine sehr sorgfältig geglättete Oberfläche auffallen, kann man sich diese Art der Verschönerung aber sehr gut vorstellen.
Einige Grabeinfassungen zeigen an den Ecken schwarz glänzende, rechteckige Einlagen. Bei diesen in den Zement eingelassenen Steinen handelt es sich um imitierten Jett (Gagat).
Jett ist eine sehr dichte, versteinerte Braunkohle, die sich leicht bearbeiten und sehr gut polieren lässt.
Gegen Ende des 19. Jahrhunderts war Jett deshalb ein sehr beliebtes Material für Trauerschmuck.
Als Grabschmuck war echter Jett zu teuer. Man verwendete statt dessen Ebonit, schwarzes Acrylharz oder auch Glas.
Imitierter Jettschmuck an einer Grabeinfassung aus Zement
Inschriften
Die Inschriften sind in Bezug auf die persönlichen Angaben zu dem Verstorbenen meist kurz gehalten. Sie beschränken sich der Mode des ausgehenden 19. und auch des 20. Jahrhunderts entsprechend auf die Geburts- und Sterbedaten. Ein Bibelspruch ist aber fast immer vorhanden und weist auf die tiefe Gläubigkeit der Verstorbenen und der Angehörigen hin.
Im ausgehenden 19. und beginnenden 20. Jahrhundert wurde als Schrift häufig eine Frakturschrift gewählt. Nach dem 1. Weltkrieg kamen die gebrochenen Schriften für die Grabinschriften offenbar aus der Mode. Es wurden statt dessen einfache Seriven- oder Serivenlose Schriften benutzt. Nur sehr selten wurden Kursivschriften verwendet.
Anrührend wirken manche freihändig in den nassen Zement geritzte Inschriften.
Ungewöhnliche Formulierungen oder orthographische Schnitzer gingen vielleicht nicht immer auf das Konto des Steinmetzen, da sonst ein ähnlicher Stil auf dem gleichen Friedhof öfter anzutreffen wäre.
Literatur:
Fastenau, Jan - Märkische Grabmalkunst aus sieben Jahrhunderten, Berlin 1926
Der Friedhof unserer Mark. Anregendes zur Ausgestaltung unserer ländlichen Friedhöfe, Herausgegeben von der Brandenburgischen Provinzial-Bauberatungsstelle, Stransberg 1916
Schindler, Zeno H. - Spuren deutscher Volkskunst schlesischer Herkunft in Mittelpolen, in: Deutsche Wissenschaftliche Zeitschrift in Polen, Heft 29, 1935
Berz-Schilling, Chr. Otto - Volkstümliche Grabmalkunst und Friedhofgestaltung, Stuttgart 1911