"Es gab keine Mischehen!" Diese Aussage ist weit verbreitet und oft wiederholt in der Literatur über die Deutschen in Mittelpolen.
Gemeint sind konfessionell gemischte Ehen zwischen evangelischen und katholischen Glaubensanhängern. Da auch immer wieder der evangelische Glaube mit ethnisch deutscher Herkunft gleichgesetzt wird, kann man die Aussage auch so interpretieren, dass es keine Mischehen zwischen Deutschen und Polen gab.
Aber stimmt denn das?
Es ist immer schwierig, derartige Aussagen zu beweisen oder zu widerlegen. Man müsste schon ganze Kirchenbücher auswerten.
Ich bin deshalb Pastor Hevelke von der Kirchengemeinde Płock dankbar für die Genauigkeit, mit der er den Index seines Kirchenbuchs gepflegt hat. Pastor Hevelke unterteilte von 1825 bis 1835 seinen Index der Trauungen in
A) evangelische und
B) solche, bei denen eine Seite römisch-katholischen Glaubens ist.
Dies ermöglicht es, für die Kirchengemeinde Płock und einen Zeitraum von 11 Jahren, eine kleine Statistik aufzustellen:
Trauungen im ev. Kirchenbuch Płock
Jahr
evangelisch
gemischt
Gesamt
Anteil Mischehen
1825
20
2
22
9 %
1826
28
7
35
20 %
1827
15
6
21
29 %
1828
30
5
35
14 %
1829
26
7
33
21 %
1830
31
1
32
3 %
1831
13
2
15
13 %
1832
36
12
48
25 %
1833
34
6
40
15 %
1834
40
4
44
9 %
1835
22
4
26
15 %
Gesamt
295
56
351
16 %
Aufgrund der geringen Anzahl von Eheschließungen pro Jahr schwankt der Anteil der Mischehen natürlich sehr stark (zwischen 3 % und 29 %). Für den Gesamtzeitraum ergibt sich jedoch ein aussagekräftiger Mittelwert.
Demnach lag in der Kirchengemeinde Płock in diesem Zeitraum der Anteil der Mischehen bei 16 %.
Dieser Anteil ist alles andere als vernachlässigbar und entlarvt die Aussage über die niemals vorkommenden Mischehen als Pauschalierung.
Natürlich mag die Situation in anderen Gemeinden oder Zeiträumen anders ausgesehen haben. Ich denke aber, dass sowohl der Zeitraum als auch die Zusammensetzung der deutschen Siedler im Bereich der Kirchengemeinde Płock durchaus repräsentativ für die Verhältnisse in Mittelpolen sein kann.
Der Zeitraum erscheint gut getroffen, da nach der preußischen Besiedelung mehr als 30 Jahre vergangen waren. Das bedeutet, es geht hier in den meisten Fällen um Ehen von Siedlernachkommen, die bereits in Polen geboren sind. Auch ethnische Deutsche aus früheren Siedlungswellen, die mangels kirchlicher Betreuung oder von der Obrigkeit gezwungen zum katholischen Glauben übergetreten waren, hatten inzwischen Gelegenheit, sich wieder den evangelischen Gemeinden anzuschließen.
Die Herkunft der Gemeindemitglieder ist breit gestreut. Sie umfasst sowohl Niedrunger, die bereits sehr lange in Polen oder im Grenzgebiet gelebt haben, als auch Nachfahren von Siedlern aus der Neumark oder dem Netzedistrikt sowie neuer zugereiste Schwaben. Die meisten Gemeindemitglieder waren Anwohner der Dörfern, viele waren aber auch Bürger der Stadt Płock.
Ganz offensichtlich haben sich unsere Vorfahren bei der Wahl ihrer Partner nicht an konfessionelle Grenzen gehalten.
Wie erklärt sich dann aber das hartnäckige Gerücht über die niemals vorkommenden Mischehen?