Ein etwas ungewöhnliches Ereignis in den evangelischen Kirchenbüchern scheint die Taufe eines Kindes zu sein, dessen Vater zu diesem Zeitpunkt bereits verstorben oder länger abwesend ist.
Dieser ungewöhnliche Umstand erforderte offenbar ungewöhnliche Maßnahmen.
Waren Taufen üblicherweise Angelegenheiten, die mehrere Nachbarn oder Verwandte als Zeugen und wenn irgend möglich auch den Vater als ersten Zeugen auf den Plan (sprich in die Amtsstube des Pastors) rief und waren Zeugenaussagen für gewöhnlich eine reine Männersache, so war im Falle des abwesenden Vaters plötzlich alles anders.
Der erste Zeuge war in diesen Fällen fast immer eine Frau. Natürlich nicht die frisch entbundene Mutter. In den meisten Fällen war es die Schwiegermutter oder die Mutter der Kindsmutter.
Noch überraschender sind Fälle, in denen nicht nur der Hauptzeuge sondern auch alle andern Zeugen weiblich sind.
Es scheint diesen Taufen ein Hauch von Zweifel angehaftet zu haben, der für uns heute schwer nachvollziehbar ist.
Eine Witwe, die nach 6 oder 7 ehelichen Kindern, ein weiteres Kind drei Monate nach dem Tod des Gatten entbindet, kann doch nicht automatisch Anlass zu Gerüchten geben. Ebenfalls vertrauenswürdig erscheint mir die junge Mutter, deren Mann zwar längere Zeit beim russischen Militärdienst verbringt, dessen Vaterschaft aber scheinbar ohne Bedenken von seiner eigenen Mutter bestätigt wird.
Das Auftreten einer weibliche Hauptzeugin war in den "normalen" Fälle der natürlichen Kinder und unbekannten Väter offenbar nicht notwendig. Natürlich kam da manchmal die Hebamme zum Pastor. Meist war es aber doch der Vater, der das uneheliche Kind der Tochter zur Taufe brachte oder auch der Bauer, der das Kind der Magd anmeldete.
Die weiblichen Zeugen aus der nächsten Verwandtschaft waren offenbar ein "schweres Geschütz", das nur in Ausnahmefällen notwendig und angemessen war.
War es die Unsicherheit über die Vaterschaft, die alle männlichen (also ernst zu nehmenden) Zeugen vertrieb?
Galten weibliche Zeugenaussagen als unverbindlicher?
Oder wollten die vorsichtigen männlichen Verwandten und Nachbarn vielleicht aus Prinzip niemandem eine Vaterschaft anhängen, mit dem sie nicht direkt sprechen konnten, während die Frauen die Dinge eher aus der Sicht des betroffenen Kindes sahen und zur Tat schritten?
)* Die Aussagen dieses Artikels beruhen auf dem subjektiven Eindruck, der durch das Studium zahlreicher Kirchenbücher entstand. Natürlich kann ich keinen statistischen Beweis für die Häufigkeit und die Art aller Fälle liefern, in denen weibliche Zeugen auftraten. - JD